Herzlich Willkommen

Hallo zusammen,
hier ist er nun, der STÜBA-Blog. Wir nehmen euch mit auf unsere Reise.

Es wird für uns überwältigend intensiv. Musikalische Glanzleistungen wechseln sich mit spassig, emotional und packenden Momenten ab...
und nebenbei entsteht auch noch der Dokumentarfilm "TRI.sonanz" über die Menschen in Bosnien und unsere Tour.


Sonntag, 9. Oktober 2011

Mittwoch, 21.09.2011 – Das letzte Konzert

Es war soweit, der letzte Tag in Bosnien-Herzegowina war angebrochen. Ihn ganz und gar der Musik zu widmen, dem, was uns hierhergeführt hat, was uns die ganze Fahrt über begleitete und was uns alle – ob Bosnier oder Deutsche, ob Orchestermusiker oder Crew – verband, scheint im Nachhinein das Mindeste, wenn nicht gar das Logischste zu sein. Egal, wo die Reise auch hinführte, egal, ob wir gerade abfuhren oder ankamen, in der nun vertrauten Fremde war es vor allem die Musik, die uns heimisch fühlen ließ. Auf solch einer Tour stellt das letzte Konzert immer etwas Besonderes dar. Zum Einen ist es ein musikalischer Abschied, ein Lebewohl, das man dem Publikum zuruft – stellvertretend für die Zuhörer aller vorangegangenen Konzerte. Zum Anderen ist es pure Konzentration und Kraft, Freude und Trauer, auf der Reise gesammelte Erfahrungen und Emotionen, gebündelt und freigesetzt in einem letzten großen Knall.

Ich glaube, für alle zu sprechen, wenn ich sage, dass es für diesen Abschied kein besseres Konzerthaus hätte sein können als das Banski Dvor in Banja Luka. Zwischen 1929 und 1932 erbaut, war es ursprünglich der Sitzungssaal für die politischen Vertreter der Region. Heute ist das Kulturzentrum Ort für Konzerte, Lesungen, Ausstellungen und Filmvorführungen. Was die schlossähnliche Fassade von außen verspricht, wird in seinem Inneren mehr als erfüllt. Hohe, in Stuck gerahmte weiße Wände führen durch riesige Flügeltüren in ein Labyrinth aus Gängen und Räumen. Der Festsaal, umringt von einer mit Stuck verzierten Empore und erhellt von prachtvollen Kronleuchtern, strahlt nur so vor Eleganz. Massive und kunstvoll gestaltete Säulen runden das Bild ab. Wer den Kaisersaal in Erfurt kennt, der mag sich im Banski Dvor ein wenig daran erinnert gefühlt haben. Alle waren überwältigt von der Schönheit dieses Konzerthauses und freuten sich, hier am Abend das letzte Konzert geben zu dürfen.

Da sich das gesamte Orchester zur vormittäglichen Probe auf der großen Bühne versammelt hatte, nutzte Jens (Trompete; Organisator; Chef) die Gelegenheit, in einer kurzen aber ergreifenden Ansprache allen Beteiligten seinen Dank auszusprechen. Dieser galt nicht nur dem Orchester an sich, sondern speziell den Bosniern, die dieses wunderbar-wahnsinnige Projekt miterlebten, mitgestalteten und ihren Teil dazu beitrugen, dass es zu so einem Erfolg wurde. Denn dieser Erfolg war in den vergangenen Wochen deutlich sicht- und spürbar geworden; selbstverständlich auch in der Musik, vor allem aber im Zwischenmenschlichen. Sie alle sind über die Zeit Freunde geworden, lachten in den Proben über die selben Witzeleien, die gleichen Fehler, saßen beim Essen zwischen den Deutschen und die Deutschen zwischen ihnen und ließen uns über die gesamte Zeit ihre Gastfreundschaft spüren. Sie setzten sich für uns ein (Mostar: Freibier), halfen uns aus der Klemme (Sarajevo: Einbruch), übernahmen Verantwortung (Banja Luka: Vortrag) und zeigten uns stolz ihr Land auf eine Weise, wie wir es anders wohl nie kennengelernt hätten. Aus verschiedenen Nationen ist eine Einheit erwachsen, ein großes Orchester, … Freundschaft!

Und sie nahmen sich vor, am letzten Abend den Konzertsaal noch einmal richtig zu rocken! Florian und Kristin (beide Violine) legten bei Bachs Doppelviolinkonzert ein sportliches Tempo vor, welches vom Orchester prompt bedient wurde. Die Finger flogen nur so über das Griffbrett und mit all der Frische und Leichtigkeit der ersten Takte hatte man das Publikum im völlig besetzten Saal rasch auf seiner Seite. Die Akustik war brillant, die Solostimmen hoben sich gut aus der Begleitung heraus und die Bässe sorgten mit durchdringendem Ton für das musikalische Fortschreiten. Das Orchester war – ohne dass die Musiker übermäßig viel Druck in die Tonerzeugung legen mussten – bereits in dieser kleinen Besetzung so präsent, dass jetzt schon zu erahnen war, mit welcher Wucht das Fortissimo-Finale Tschaikowskis wohl über die Zuhörer hereinbrechen würde. Bis dahin war es allerdings noch ein langer Weg, … und ein phantastisches Konzert. Die STÜBAs spielten nicht einfach das Programm, sie lebten die Musik. Konzentriert und in reger Kommunikation mit dem Pultnachbarn einerseits sowie dem Dirigenten andererseits wies das Orchester jeder Passage seinen Platz im Ganzen zu, sodass man die Musik selbst dann verstehen musste, wenn man das Stück noch nicht kannte. Auch für uns, die wir das Programm nun schon so oft gehört hatten, gab es keine Minute, in der wir nicht wie gebannt auf die Bühne blickten, um uns von diesem riesigen Klangkörper mitreißen zu lassen. Von der Empore aus war gut zu beobachten, wie umfassend sich die Spielfreude auf das Publikum übertrug, um von hier direkt wieder auf die Bühne zurückgegeben zu werden. Die Menschen wiegten in den lyrischen Stellen ihren Körper von einer zur anderen Seite weich hin und her; in den dramatischen und konfliktgeladenen Passagen fieberten sie gespannt einer Lösung entgegen, um sich anschließend erleichtert in die Stuhllehne zurückzuwerfen – es war einfach atemberaubend; das beste Konzert.

Die stehenden Ovationen am Ende wurden bald mit A. Ljadows „Baba Yaga" besänftigt, welches bereits in den Konzerten zuvor als Zugabe fungiert hatte. Was danach aber folgte, war keine weitere Zugabe für das Publikum, sondern ein reines Geschenk an das Orchester. Unmittelbar nach dem abermaligen Applaus hoben die Blechbläser überraschend zu einem zauberhaft arrangierten „Ade nun zur guten Nacht“ an. Der Klang mischte sich in den noch verhallenden Applaus. Diejenigen im Orchester, die schon im Begriff waren, die Bühne zu verlassen, setzten sich – ahnungslos wie das Publikum selbst – zurück auf ihre Stühle und lauschten den verzückenden Stimmen der Bläser, wurden sich allmählich gewahr, dass diese zum Abschied und zum Danke spielten. Ich saß auf der Empore und erinnerte mich an Goražde, wo ich mich kurz vor der Probe an ein Pult der ersten Violinen setzte. Den Blick über die vielen Notenständer und Stühle entlang der verschiedenen Stimmgruppen hin zum Dirigentenpult schweifend, bekam ich dort für einen kurzen Moment den Hauch einer Vorstellung, welches Gefühl der Einheit, der Verbundenheit das Orchesterspiel auf jeden einzelnen Musiker ausstrahlen musste. Welche Gedanken, welche Emotionen durch diese wundervollen Töne nun im Orchester reiften, kann ich dennoch nur im Ansatz erahnen. Es reichte, damit Tränen flossen, im Orchester und unter den Helfern. Diesen Augenblick irgendjemandem zu beschreiben, ist unmöglich. All jene, die ihn erlebten, werden ihn nie vergessen!

Für den Abschiedsabend nach dem Konzert hatten die Bosnier für die gesamte Crew einen Klub reserviert. Als sich der Großteil zwischen halb und um zwölf davor versammelte, wurde schnell klar, dass dieser uns wohl kaum alle beherbergen kann. Auf der Suche nach einer anderen Möglichkeit landeten wir zunächst in der Hotelbar. Da diese allerdings kurz vor der abendlichen Schließung stand und das Personal sich strikt dagegen weigerte, Geld zu verdienen, organisierte Ozren (Cello) kurzerhand Tankstellenbier und alkoholfreie Getränke für eine unabhängige Feier im nahegelegenen Park. Der ausgelassenen Stimmung tat dieser spontane Wechsel keinerlei Abbruch. Für Live-Musik Unplugged sorgte zunächst Reza (Bass), bald begleitet von Albrecht auf der Violine und David (Schlagwerk) und seinen Steppschuhen. Es war der perfekte Ausklang des Abends, besser als jeder Klub und jede Kneipe. Wann die letzten angeregten Gespräche verebbten, kann ich nicht sagen. Gegen halb fünf zog es mich in mein Bett, belgeitet von Helge (Violine), der dafür Sorge trug, dass auch Robin (Schlagwerk) endlich den Weg ins Zimmer fand. Und seine letzten Worte klingen noch immer in meinem Ohr: „Das Bier hier heißt echt ‚Nektar‘. Das passt zu STÜBA.“

Dienstag, 4. Oktober 2011

Update

Ich weiß, ihr wartet alle schon gespannt auf die letzten Posts der Reise. Dank der unermüdlichen Arbeit von Nora während der Tour, die keine Gelegenheit ausgelassen hatte, mit der Minikamera das Geschehen in Bild und Ton festzuhalten, stehen uns nun ein paar kurze Videos zur Verfügung, die ich am Wochenende in die bereits bestehenden Posts eingepflegt habe. Vielen Dank an dieser Stelle auch an das Filmteam, das mir die Videos geschnitten und bearbeitet zur Verfügung gestellt hat. Es lohnt sich also, die alten Beiträge nochmals aufzurufen und vielleicht verkürzt dies ja auch die Zeit des Wartens, bis endlich auch der letzte Text seinen Weg in diesen Blog gefunden hat. Ja, der Alltag hat mich wieder, mit all seinen Rechten und Pflichten. Danke für eure Geduld!

Herzliche Grüße, Hannes...

Mittwoch, 28. September 2011

Dienstag, 20.09.2011 – Banja Luka, wir kommen!

Kann ein Tag schöner beginnen als mit einem Konzert, vor allem, wenn man selbst nicht mitspielen muss? – Ja, kann er! Indem die Probe nicht zwei Stunden vor dem Konzert ausgerechnet in einem Zimmer abgehalten wird, in welchem man versucht, jede einzelne Minute des geliebten Schlafes auszukosten, die einem Morgen und Uhr noch zugestehen. Aber zwei der vier verrückten „Triolanisten“ (das konnte ich vorher nicht wissen) wohnten gut getarnt in meinem Zimmer und so wurde ich an jenem Morgen klassisch überstimmt. Nach dem Frühstück war es dann soweit und das Triolaquartett bestehend aus Matze (Bass; Solotriola), Björn (Violine; große Triola), Helge (Violine; schöne Triola) und Skupi (Cello; laute Triola) gab zur Freude des Publikums und zu Ehren unseres Häuptlings Jens (der zwei Tage zuvor Geburtstag hatte) ein Ständchen, dass als heimliche Ouvertüre dieser Reise gelten kann und eigentlich vor jedem Konzert hätte erklingen müssen: ein Konglomerat der eindringlichsten Stellen aus Brahms, Dukas und Tschaikowsky, zusammengehalten durch einen Hauch von Winnetou. Es war einfach zum Schießen komisch. Wer einen Eindruck davon bekommen möchte, welch Ekstase diese wenigen aber wohl gesetzten Töne in uns auslösten, dem sei das nebenstehende Video wärmstens ans Herz gelegt. Man beachte besonders die vortreffliche Passage in schiss-Moll (acht Kreuze) kurz vor Beginn des Finales – ein Siedepunkt der Spannung.

Nachdem sich die Massen beruhigt hatten, die Tränen trocken getupft und alle mit Namen versehenen Kuscheltiere eingesammelt waren, hieß es erneut Abschied nehmen, von Sarajevo und von Matze (Bass). Denn nach Laura (Violine), unserer Backup-Busfahrerin, die uns leider bereits nach dem ersten Tag in Sarajevo verlassen musste, rief die Pflicht nun auch Matze zurück ins Heimatland. Dieser Verlust riss vor allem in die Trapezgruppe der Bässe unheilbare Wunden. Weitere Tränen später schließlich begaben sich Busse und Wohnmobile auf den Weg nach Banja Luka, unserer letzten Station in Bosnien-Herzegowina. Da ich diesmal das große Privileg hatte, in einem der Busse mitfahren zu dürfen, kann ich zur gewählten Route keine genauere Auskunft geben. Für einen Blick aus der Seitenscheibe hat es allemal gereicht. Die Wolken hingen tief in den Baumwipfeln, hüllten die saftig-grün bewachsenen Berge in dichten Nebel und ließen irgendwo da draußen Umrisse kleiner Siedlungen erkennen, die heute die Grenze zwischen Erde und Himmel bildeten. Gemeinsam und doch jeder für sich starrten wir hinaus in die verregnete Landschaft, ließen sie vorbeirauschen und waren einen Augenblick lang allein mit uns und unseren Gedanken. Es war eine vertraute Ruhe, eine wunderschöne Melancholie, getragen von Erinnerungen an die vielen Erlebnisse, Freude, beisammen zu sein und verdrängter Gewissheit, dass diese Reise bald zu Ende geht. Und so genoss ich diesen Moment mit Musik von Sigur Rós, die über meine Kopfhörer strahlte und sah, wie sich allmählich die letzten Gebirgsausläufer in eine weite Ebene verwandelten – wir waren angekommen.

In Banja Luka selbst trauten wir unseren Augen kaum, als wir in einem Hotel mitten in der Stadt eincheckten. Nach Tagen in Studentenwohnheimen und einigen Duschen, in die man sich nur mit Badelatschen traute, stellte dies eine willkommene Abwechslung und perfekten Abschluss der Tour dar. Dabei war es eher Zufall, dass das Studentenwohnheim im Vorfeld nicht genügend freie Zimmer anbieten konnte und die Jugendherberge zu weit vom Konzertort entfernt lag, sodass wir auf diese Option ausweichen mussten (die Kosten für das Hotelzimmer lagen nicht viel höher als die der Jugendherberge). Nun hatten wir etwa 300m Fußweg zum Konzerthaus und genügend Zeit, die Stadt ein wenig zu erkunden. Banja Luka ist während des Bosnienkrieges glücklicherweise von Kämpfen verschont geblieben. Die Tatsache, dass die Stadt in den Kriegsjahren zu einem Zentrum bosnischer Serben innerhalb Bosnien-Herzegowinas avancierte, bewahrte sie davor. Dennoch ist eine Vielzahl älterer Gebäude aus den Zeiten osmanischer als auch österreichisch-ungarischer Herrschaft heute nicht mehr existent. Schuld sind einerseits die schweren Erdbeben, die diese Region ca. alle 60 Jahre heimsuchen (das letzte erst 1969), andererseits Sprengungen vieler römisch-katholischer sowie muslimischer Gotteshäuser durch bosnische Serben während des Krieges. Was heute noch das Stadtbild ziert oder wieder aufgebaut wurde, ist aber allemal eine Besichtigung wert.

Für den Abend war ursprünglich ein Vortrag des Bürgermeisters über Banja Luka geplant. Dass dieser kurzfristig absagte war letztlich das Beste, was uns passieren konnte. Denn so sprang Petar (Viola) ein, der – zwar unvorbereitet aber aus Banja Luka stammend – einen Vortrag aus dem Hut zauberte, der am Ende keine Fragen mehr offen ließ. Er drehte sich nur im ersten Moment kurz um die Geschichte Banja Lukas, die Lage, Bevölkerung und Besonderheiten der Stadt, wie ihn der Bürgermeister wahrscheinlich über die gesamte Stunde ausgedehnt hätte. Bald schon entwickelte sich daraus aber ein reges Gespräch zwischen allen Anwesenden, in dem wir erfuhren, wie das heutige Leben in Bosnien-Herzegowina aussieht, welche Entwicklung das Land seit dem Krieg genommen hat und welche Probleme für die Menschen bestehen. Vor allem aber ging es um die Sicht der Jugend auf ihr Land, ihre Situation, ihre Träume und Wünsche. Es war ein wahnsinnig intensiver Austausch, bei dem nicht nur Petar Rede und Antwort stand, sondern die anderen Bosnier in das Gespräch einstiegen, ihre Meinung einbrachten und uns so einen lebendigen Eindruck des wunderschönen aber noch etwas fragilen Bosnien-Herzegowinas gaben, das wir nun schon mehr als eine Woche lang durchreist hatten. Gegen halb elf wurden wir freundlich gebeten, endlich den Sitzungssaal im 4. Stock des Hotels zu verlassen, sonst hätten wir wohl noch die ganze Nacht gesessen.



Dienstag, 27. September 2011

Montag, 19.09.2011 – Sarajevo und endlich mal ausschlafen!

Ach, wie war das herrlich, nach zwei Konzerten in der ferneren Umgebung keine Fahrt vor sich zu haben, die einem nicht nur morgens das Ausschlafen verdirbt, sondern abends auch eine Rückkehr zum Schlafplatz erst jenseits der nullten Stunde ermöglicht. Und so ein langer Tag schlaucht ungemein. Diesmal war es also anders und alle machten sich am Abend schon ganz wilde Pläne, was denn mit der freien Zeit am Vormittag so alles anzufangen sei. Die Folge war, dass viele trotzdem nicht ausschlafen wollten, um sich viel lieber die Stadt anzuschauen, die wir am Ankunftstag ja nur im Abendschein betrachten konnten. Aber freiwillig früh aufzustehen ist eben doch was anderes. Die Bandbreite an Ideen war vielfältig: Ein Aussichtspunkt oberhalb des großen Friedhofs, der einen wundervollen Blick über die gesamte Stadt gewährt; die zahlreichen Museen, Kirchen und Moscheen, die sich in der Altstadt dicht aneinanderdrängen und sehr gut zu Fuß erreichbar sind; oder aber die gemütlichen Cafés entlang der Ferhadija (der Fußgängerzone), um in Ruhe einen Kaffee zu trinken und sich – abseits des üblichen Frühstücks in der Jugendherberge – einfach ein Stück leckeren Kuchen zu bestellen. Letztlich nutzten viele von uns die freie Zeit auch für einen Ausflug zum sogenannten Tunnel of Hope, der sich fernab des Stadtzentrums unterhalb des Flughafenrollfeldes im Westen Sarajevos befindet. Er wurde im Jahr 1992 während der dreieinhalb Jahre andauernden Belagerung Sarajevos gebaut und war in dieser Zeit die einzige Verbindung der Stadt zur Außenwelt – Handels- und Versorgungsstraße für Lebensmittel, Medikamente aber auch Waffen und Munition. Ein Teil des Tunnels ist heute noch zu besichtigen.

Gegen Mittag schließlich zog das Wetter einen Schlussstrich unter jeden noch so liebevoll geschmiedeten Plan. Es goss wie aus Kannen, machte auch keine Anzeichen, in einem kurzen Schauer bald vorbeizuziehen und nahm uns dadurch jegliche Lust auf weitere Unternehmungen. Dies war jedoch auch nicht wirklich tragisch, denn ab 14Uhr sollte sich das Aufbauteam sowieso am Bosanski kulturni centar treffen, um die Bühne für die folgende Anspielprobe vorzubereiten. Um 15Uhr folgte das Orchester. Wesentlich schlimmer war es, sämtliche Podeste, Cases, Instrumente und Kleinkram über eine Strecke von etwa 100m durch den strömenden Regen zum Hintereingang des Konzerthauses zu tragen, denn direkt vor dem Haus war zwar ein Parkplatz, jedoch für Busse nicht befahrbar. Glücklicherweise kam fast das gesamte Orchester früher zur Probe und half uns, die Instrumente schnell ins Trockene zu bringen. Gerade die Pauken machten uns große Sorgen. Sie sind mit ihren Fellen nicht nur anfällig für Regen, sondern zugleich schlicht und einfach zu schwer, um sie über diese lange Strecke hinweg zu tragen, ohne sich für den nächsten Tag die Idee eines Bandscheibenvorfalls zuzuziehen. Andererseits war der Asphalt bereits so mit Pfützen übersät, dass die Rollen unterhalb der Pauken (denn man sollte sie im Normalfall schieben) förmlich im Wasser versunken wären. Also luden wir zunächst die Podeste aus und schnallten unter das letzte eigens für die Podeste konzipierte Rollen. Nun stellten wir zwei Pauken darauf, deckten sie mit Decken ab und konnten sie so zu dritt bequem die gesamte Strecke über schieben, ohne dass sie von oben oder von unten dem Wasser ausgesetzt waren. Zurück zum Bus konnte das Podest wie eine Art Skateboard benutzt werden und zwei Leute knieten sich auf die Seiten, um sich untereinander abwechselnd mit dem anderen Bein abzustoßen – ein riesen Spaß und effektiv zugleich.

Der Saal war riesig, erinnerte mit seinen über 800 mit rotem Stoff bezogenen Klappsitzen zunächst vielmehr an ein Kino und es verwunderte uns nicht, dass über die Hälfte der Plätze während des Konzertes frei blieben. Hierfür waren aber andere Gründe ausschlaggebend als beispielsweise in Mostar und Goražde, wo Flüsse die Städte in moslemischen und kroatischen Teil trennen und uns so zu den Konzerten nur Publikum einer der beiden Bevölkerungsgruppen bescherten. Sarajevo ist als Hauptstadt Bosnien-Herzegowinas eine sehr kulturelle Stadt, was sich in einem breiten Kultur- und Freizeitangebot niederschlägt. Dies hat allerdings zur Folge, dass jede Veranstaltung in direkter Konkurrenz zu anderen Möglichkeiten der Freizeitgestaltung steht, sei es Konzert, Vortrag, Lesung, Kino oder einfach nur dem schönen Abend in einem der vielen Cafés.
Und für ein klassisches Konzert würden die meisten Einheimischen wohl sowieso eher ins Nationaltheater gehen, um das Philharmonischen Orchester Sarajevo zu hören, als in das Bosanski kulturni centar, von dem – wie sich am Tag der Veranstaltung durch persönliche Einladung zum Konzert herausstellte – viele nicht einmal wussten, wo genau das ist. Wir hatten im Vorfeld der Tour versucht, das Konzert in Sarajevo im Nationaltheater spielen zu dürfen, um genau dieses Problem zu umgehen. Allein die Miete, die man für den Saal verlangte, ließ uns auf das Kulturzentrum ausweichen. Wenige Tage vor Konzert wurde uns zwar von offizieller Seite signalisiert, dass wir das Nationaltheater nun doch zu einem geringeren Preis mieten könnten, aber um noch umzuschwenken, war es jetzt mehr als zu spät. So freuten wir uns über die, die an diesem Abend den Weg zu uns gefunden hatten und missdeuteten auch das ein oder andere Handygespräch oder die Zigarette im Foyer mitten im Satz nicht als Zeichen des Desinteresses – es ist hier einfach Usus.

Nach dem Abbau (ohne Regen!) gingen wir alle gemeinsam noch in einen Studentenclub zur Salsa-Party. Man brauchte vorher nicht zu hören, dass hier auch Salsa-Tanzstunden gelehrt werden, man konnte es mit bloßem Auge live auf der Tanzfläche sehen. Während die meisten von uns nicht mehr an sich halten konnten und in die Mitte der Tanzfläche vorstießen, beobachtete ich das wilde Treiben vom oberen Rang aus. Es war einfach atemberaubend, wie wunderschön sich die vielen Paare auf der Tanzfläche bewegten, mit welchem Witz und welcher Freude. Wie in der Musik kommunizierte man hier ohne Sprache, tauschte Gefühle und Emotionen allein durch Bewegungen aus. Ich fühlte mich ein bisschen an die Jongleure und Ballkünstler in Ljubljana erinnert, die im Mondschein mit scheinbarer Leichtigkeit die Bewegung eines Balles oder Stockes auffingen, kompensierten und in einem neuen Impuls einfach an den Körper zurückgaben. Diese runde Bewegung im völligen Einklang mit sich und dem Körper, mit dem man sich gemeinsam bewegt, faszinierten mich. Und wie auch jetzt, in Sarajevo, waren sie dort Ausdruck davon, den Kopf einfach mal auszuschalten und tief in sich hinein zu hören.

Dienstag, 20. September 2011

Sonntag, 18.09.2011 – Schlimmer geht immer

Nach einer kurzen Nacht sollte es relativ früh nach Goražde gehen. Ein Marathonlauf in der Stadt, der die Polizei dazu zwang, die gesamte Innenstadt für den Autoverkehr zu sperren, machte es für die Busse unmöglich, uns am Hotel abzuholen. Wir liefen also alle, teilweise mit Kontrabass geschmückt, eine halbe Stunde zum Busparkplatz hinunter. Auf dem Weg sahen wir noch das Schlussfeld der Läufer und ließen es uns nicht nehmen, ihnen als weit und breit einzig sichtbares Publikum Anfeuerungsrufe und Laolawellen entgegenzuwerfen.

Da der direkte Weg östlich aus Sarajevo hinaus irgendwo eine Baustelle enthielt und die Umleitung für größere Fahrzeuge nicht befahrbar war, wählten wir eine Route über Foča, die allerdings einen Umweg von 40min bedeutete – wieder Zeit, die uns verloren ging. Aber da in Goražde sowieso ein Stadtfest die Konzerthalle bis 16 Uhr belegte, standen wir nicht wirklich unter Zeitdruck. Ich selbst fuhr erst gegen zwei hinterher, um Esma (Flöte) und Elma, die Dolmetscherin, mitzunehmen, die mit dem Filmteam in Sarajevo noch ein paar Aufnahmen gemacht hatten, und so verpasste ich leider die Besichtigung der Behelfsbrücke, welche, als Schutz vor Granaten- und Kugelfeuer aus den Bergen, ganz dicht unter die darüber liegende Izetbegovič-Brücke gebaut wurde und während des Krieges die Versorgung der Stadt sicherstellte. Stattdessen sahen wir aber eine Herde Kühe völlig gelassen die Serpentinenstraße Richtung Foča entlanglaufen (sieht man ja auch nicht täglich) und konnten so wenigstens ein paar Erlebnisse austauschen.

In Goražde angekommen, erschien die Stadt auf den ersten Blick nichts als eine rechts und links an die Hauptstraße gebaute Häusersiedlung zu sein. Erst auf den zweiten Blick und durch die Häuserschluchten bergabwärts sah man, dass sich diese Straße nur am äußersten Rand weit oben am Berghang befand und die Stadt sich endlos ins Tal hin ausbreitete. Natürlich kamen wir noch rechtzeitig zum Ausladen der Busse, sodass ich tatkräftig die letzten Podeste mit in das Centar za kulturu tragen durfte, bevor auch mich die Hiobsbotschaft erreichte, dass nun auch Feli (Klarinette), Sven (Posaune), Friedl und Julian (beide Cello) über Beschwerden klagten. Toni, der Pauker, und Esther (Violine) waren gleich ganz in Sarajevo geblieben. Es versprach also ein lustiges Konzert zu werden. Überall fragte man einander, wie es geht und bei jedem Anzeichen, ja dem kleinsten Bauchdrücken oder Schwindelgefühl gingen sofort die Alarmsignale an. Das Virus war in unseren Köpfen angelangt und damit automatisch auch in unseren Körpern.

Man entschied sich kurzfristig, den El Khoury für dieses Konzert aus dem Programm zu nehmen, da durch die Ausfälle einfach zu viele Stimmen nicht besetzt werden konnten. Im Nachhinein betrachtet schien das Orchester dieses Konzert dennoch mit einer gewissen Gelassenheit gespielt zu haben – frei nach dem Motto: „Schlimmer kann es nicht mehr werden. Machen wir also das Beste draus.“

Samstag, 17.09.2011 – Der Paukenschlag von Travnik

Travnik stand als erstes der drei Konzerte in und „um“ Sarajevo ganz im Zeichen der nun immer mehr aufkeimenden Krankheit. Zu den bereits am Donnerstagabend mit Beschwerden kämpfenden Henrike (Violine), David (Fagott) und Anton (Horn) stießen bis Samstag Micha (Posaune), Liesi (Flöte), Reza (Bass), Toni (Pauke) und Beate, die für die Kinderbetreuung vor allem während der Konzerte mitgekommen war. Nach der Ankunft, dem Mittagessen etwa zehn Gehminuten vom Veranstaltungsort entfernt und der Sitz- und Anspielprobe, die unmittelbar auf den Aufbau folgte, mussten sich daher einige von ihnen eine Auszeit auf der Wiese vor dem Centar za kulturu nehmen, breiteten ihre Decken oder Schlafsäcke aus und versuchten, mit einer kleinen Mütze Schlaf dem Körper etwas Kraft zu geben, um das abendliche Konzert zu überstehen. Und diese Kraft brauchten sie, denn Travnik kündigte sich gleich aus mehreren Gründen als ein Konzert an, das gut besucht werden könnte: Zum Einen kommen drei Bosnier des Orchesters aus Travnik, was bedeutet, dass allein durch Familie, Freunde und Mundpropaganda eine potenzierte Zahl an Leuten dieses Konzert bestimmt nicht verpassen wollte. Zum Anderen bestand schon lange vor der Konzertreise durch die Städtepartnerschaft Leipzig-Travnik ein guter Kontakt zu dieser Stadt und dem Leiter des Vereins vor Ort, Asem Ejubovic. Er stand schon im Vorfeld der Tour bei der Planung mit Rat und Tat zur Seite (dafür können wir ihm nicht genug danken), hat aber ferner natürlich vor allem in Travnik überaus wichtige und hilfreiche Kontakte, kennt die Menschen und weiß, wie er das Konzert in dieser kleinen Stadt am besten bewirbt. Er sagte immer: „Macht euch keine Sorgen um Travnik.“ Als letzte und nicht minder wichtige Tatsache kam hinzu, dass der Konzertsaal des Centar zu kulturu mit etwa 200 Plätzen wesentlich kleiner ausfiel als der in Mostar.

Sie (die Gebeutelten) lagen also da und erregten bei Bewohnern, die zufällig vorbeischlenderten, zunächst einmal Aufmerksamkeit. Wohlmöglich war es das erste Mal, dass hier scheinbar campiert und geschlafen wurde. Kurz vor dem Konzert folgte eine Welle von Armenkindern, die – von ihren Eltern geschickt – hierzulande bei großen Menschenansammlungen gern um Geld bitten. Bisher hatten wir in ähnlichen Situationen stets versucht, den Kindern mit kurzen aber deutlichen Gesten verständlich zu machen, dass wir kein Geld für sie haben. Doch hier kurz vor dem Konzert war es Zeit, eine andere Strategie zu fahren. Mit Asems Hilfe als Übersetzer boten wir einem kleinen, süßen und Mitleid erweckenden Mädchen von etwa sieben Jahren an, dass sie 5 KM (KM=Konvertible Mark, etwa 2,50€) erhalte, wenn sie sich im Gegenzug dafür das Konzert anhöre. Dieses war zwar sowieso kostenlos – wie übrigens alle Konzerte in Bosnien-Herzegowina –, doch war es die einmalige Chance, jemanden ins Konzert zu locken, der in seinem Leben vielleicht nie wieder mit klassischer Musik in Berührung kommen wird. Zudem hätten wir so zumindest eine kleine Gegenleistung für unsere Spende. In einer zweiten Bedingung sagten wir ihr, dass sie weitere 5KM bekäme, wenn sie bis zum Schluss bliebe (Um 22Uhr wäre das Mädchen wahrscheinlich auch unter normalen Umständen noch nicht im Bett.). Sie willigte ein und kurze Zeit später stand sie mit ihrer älteren Schwester und ihrem jüngeren Bruder freudestrahlend vor dem Konzerthaus. Das Konzert begann und sie saßen tatsächlich in der hinteren Reihe – aber nicht etwa aus Scheu vor dem Neuen, sondern weil es die letzte freien Plätze waren, die dieser Saal hergab. In den letzten Sekunden vor dem ersten Ton füllte sich die Stehreihe hinter den letzten Sitzen sogar noch so weit, dass wir während des gesamten Konzertes die Türen offen lassen mussten, um dem bis in die Tür stehenden Publikum nicht Sicht und Klang zu nehmen.

Das Konzert verlief gut, zumindest bis Toni (Pauke) in Takt 54 von Brahms‘ Tragischer Ouvertüre vom Stuhl aufsprang und sich – ab Takt 68 auch hörbar – über seine Pauken und den nebenstehenden Hocker übergab. Für viele im Orchester jenseits der Celli war dieser Moment nur am entsetzten Gesichtsausdruck des Dirigenten Martin Lentz ablesbar. Robin (Schlagwerk) reagierte sofort und versuchte, mit raschen Handbewegungen die Felle der Pauken zu reinigen – begleitet von Martins Gebärden und Gesten, der ihn – noch nicht bemerkend, dass die Pauken nicht spielbar waren – darum bat, für Toni einzuspringen. Von alledem bekamen die meisten Zuschauer wahrscheinlich gar nichts mit. Nach der Pause konnte Robin dann glücklicherweise übernehmen. Einen Tschaikowsky ohne Pauken wollte sich lieber keiner vorstellen. Der tosende Applaus am Ende des Konzertes fiel dann bereits in den letzten Schlussakkord hinein und verhallte erst, als durch Nikola aus den ersten Geigen die Zugabe angekündigt wurde. Geschafft…!

Der Abbau musste ziemlich schnell von Statten gehen. Schon bei der Ankunft in Travnik am Mittag schlichen zwielichtige Männer um die Busse herum, sobald diese auf dem Parkplatz zum Stehen kamen. Man musste höllisch aufpassen, dass sie über die offenen Türen nicht unbemerkt in die Busse gelangten, um sich an herumliegenden Sachen zu bereichern. Also leuchteten wir am Abend das Gelände weiträumig mit Baustrahlern aus, stellten Wachposten an die Eingänge und an jeden Bus und versuchten, die Sachen schnell und koordiniert in Bussen und Hängern zu verstauen. Da wir aus Mostar noch eingespielt waren und jeder wusste, was wohin muss, waren wir innerhalb einer halben Stunde nach Konzertende fertig zur Abfahrt. Im Bus wurden kurz vor Rückfahrt noch Desinfektionsmittel herumgereicht und wichtige Hygieneregeln aufgestellt, die dazu dienen sollten, die weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern. Dann ging es zurück Richtung „Heimat“.

PS: Die Armenkinder blieben bis zum Ende des zweiten Satzes von Bachs Doppelviolinkonzert, das jedes Konzert eröffnet. Der kleine Bruder war sichtlich müde und nicht mehr ruhig auf dem Stuhl zu halten. Es kann aber durchaus als Erfolg verbucht werden, dass sie überhaupt freiwillig so lange blieben.

Montag, 19. September 2011

Samstag, 17.09.2011 – I Can`t Get No…Desinfection!

Seit Samstag herrscht bei STÜBA der Ausnahmezustand. Die Zimmer werden verriegelt, provisorische Sauerstoffzelte eingerichtet, Quarantänebusse fahren separat zu den Veranstaltungsorten und es gibt konkrete Anordnungen, wer wann wie und mit wem auf die Toilette darf. Grund für diese Aufregung ist ein Magen-Darm-Virus, der täglich mehr Orchestermitglieder dahinrafft. Bereits von fachkundigen Ärzten im Orchester eindeutig als die tückische Scheißkotzky-Krankheit identifiziert, schlägt sie Furchen der Verwüstung quer durchs Orchester. Panisch versuchen die Überlebenden, ihre Haut in Desinfektionsmittel zu tränken, Getränkeflaschen ausschließlich mit sich selbst zu teilen und in hypochondrischer Vorsicht jegliche Anzeichen der Krankheit zu erkennen, bevor sie sich bemerkbar machen. Alles in der Hoffnung, ihren unerbittlichen Klauen zu entkommen. Tropf und Nackenkissen stehen unmittelbar für diejenigen bereit, die meinen, was gemerkt zu haben.

Der Beginn dieser STÜpandemie kam schleichend und unbemerkt. Bereits am Donnerstag in Mostar klagten drei hilflose STÜBenten über Übelkeit und flauen Magen. Am Samstag kam es dann zum ersten Ausbruch in Form von Auswurf während des Konzertes. Mittlerweile sind weitere zehn Personen betroffen, darunter fünf Stimmführer. Eine Untersuchungskommission, die umgehend zur Klärung des Sachverhaltes eingesetzt wurde, hat Regelmäßigkeiten aufdecken können, die zu der Frage führen, ob das Orchester von einer fremden Macht übernommen werden soll, oder sich jemand einfach näher ans erste Pult bringen möchte. Fest steht, weder Bosnier noch Raucher sind bisher betroffen. Es wird in alle Richtungen ermittelt, niemand kategorisch ausgeschlossen. Wir werden die Ursache finden und dann gibt es Zwieback…

Freitag, 16.09.2011 – You Say Goodbye And I Say Hello

Kaum in Mostar angekommen, hieß es schon wieder Abschied nehmen. Die Zeit verfliegt hier so schnell, dass man völlig den Überblick verliert, wie lange man schon an einem Ort verweilt, geschweige denn, welcher Tag gerade ist. Hätten wir nicht den ausgedruckten Plan, der uns – mit Tag und Datum versehen – ab und zu daran erinnert, was bereits hinter uns liegt, wir wären ohne jegliche Orientierung. Aber die Fahrt geht weiter und anstatt traurig zurück zu blicken, sind wir vielmehr gespannt auf die Orte, Menschen und Situationen, die noch vor uns liegen.

Sarajevo! hieß laut Plan die nächste Station unserer Reise – eine Art Basislager, von wo aus wir in den folgenden drei Tagen drei Orte für Konzerte anfahren werden: Travnik, Goražde und Sarajevo selbst. Auf der einen Seite bedeutet das, jeden Tag Busfahrt (und ich schrieb ja im letzten Blogeintrag, was das in Kombination mit viel Essen bedeutet), auf der anderen Seite kommt damit nun wieder – ähnlich wie in Deutschland – eine anstrengende Zeit auf uns zu. Denn drei Konzerte an drei Tagen kosten Kraft und Konzentration. Doch noch gut erholt und beglückt von den Tagen und dem Konzert in Mostar fuhren wir träumend durch die Gegend. Die Strecke nach Sarajevo führt über Jablanica fast zur Hälfte entlang der Neretva. Gemeinsam mit dem Fluss bahnten wir uns also den Weg durch die Täler, stets begleitet von den hoch aufschießenden Gebirgsketten (denn ohne Berg kein Tal), die in Zentralbosnien – im Gegensatz zur Herzegowina – dichter bewaldet sind. Vereinzelt standen Häuserruinen an den Hängen dieser wundervollen Landschaft, zerstört und verlassen, als Zeugnis ehemaliger Besiedelung.

In der Hauptstadt angekommen, wurde es dann hektischer. Auch Sarajevo ist umringt von Gebirge, viele Straßen aus dem Zentrum heraus führen direkt steil hinauf auf die Hänge. Unsere Unterkunft, das Studentenwohnheim Sarajevos, liegt dabei im Nordosten oberhalb der Stadt. Als wir mit den Bussen die kleinen Straßen hinauffuhren, merkten wir schnell, dass es unmöglich war, direkt an der Jugendherberge zu parken, um Koffer und Instrumente auszuräumen, ohne den Verkehr zu stören oder gänzlich zum Erliegen zu bringen. Zudem musste noch ein sicherer Ort gefunden werden, wo die Busse über Nacht stehen konnten. Also ging es nach kurzer Absprache über Funk wieder zurück in die Stadt. Auf dem Parkplatz vor dem ehemaligen olympischen Stadion von 1984 schien genug Platz zu sein, um die Busse zumindest kurz abzustellen und in Ruhe eine Lösung zu finden. Natürlich war der Parkplatz mit Barrieren so eng abgezäunt, dass die Busse nirgends drauffahren konnten. Also stellten wir uns so weit wie möglich an den Rand der Straße und einigten uns soweit, dass wir zumindest in die Nähe des Studentenwohnheims fahren, um die Busse dort an einer breiteren Stelle bis nach dem Mittagessen stehen zu lassen. Rucksäcke und Kontrabässe wurden gleich mit hochgenommen, während das restliche Gepäck und die Instrumente für die kurze Zeit in den bewachten Bussen verweilten. Nach dem Mittagessen wurden vor allem die Koffer ausgeladen, die Instrumente gingen mitsamt der Busse und eines Wohnmobils auf die Suche nach einem Standplatz. Es kostete viel Zeit und Geld, die Busse letztendlich auf einen bewachten Parkplatz direkt vor der deutschen Botschaft stellen zu dürfen, doch das war es uns wert. Denn während nun insbesondere die wetterempfindlichen Instrumente wie Celli, Violinen und Violas noch ins Wohnmobil umgeladen wurden, verblieben Blech und Holz sowie die großen Pauken und Trommeln über Nacht in den Bussen. Und das wäre im Falle eines Falles um einiges teurer als die Gebühr für den Parkplatz.

Am Abend liefen die meisten zu Fuß in die Stadt, denn 19:00Uhr wollten wir uns alle in der Brauerei Pivniča treffen. Und so lernten wir Sarajevo in der Abenddämmerung kennen. Die Stadt besteht zu einem Großteil aus neugebauten Glas- und Betonkratzern sowie vielen alten Punkthochhäusern, die sich entlang der umliegenden Berge in einem schmalen Flur gedrungen und gezwungen aneinander reihen. Das Zentrum ziert eine breite Einkaufs- und Flaniermeile, wie sie auch in westlicheren Metropolen zu finden ist. Kirchen und Moscheen sind rechts und links der Promenade gebaut und unterbrechen zeitweilig die vielen Bars und Geschäfte. Spätestens wenn die Muezzins von den Minaretten zum Gebet rufen, während man in das orientalische Viertel läuft, das sich direkt an die Einkaufsstraße anschließt, entsteht eine wunderbar geheimnisvolle Atmosphäre, die Gänsehaut bereitet. Muslime scheinen allein anhand der Vielzahl an Moscheen die größte Glaubensgemeinschaft der Stadt darzustellen, aber auch Synagogen findet man hier. Auf diese Weise ist Sarajevo ein Beispiel dafür, dass Menschen der drei großen Religionen friedlich nebeneinander leben können.

Das Pivniča ist wohl eines der exquisitesten Gastronomien, in denen wir bisher speisten. Doch um auf Nummer sicher zu gehen, entschieden sich Jens (Trompete) und Fabian (Trompete), für unser Essen eigens eine Sängerin und ihren Pianisten zu buchen, die sie in der Vorbereitung auf die Tour bereits – damals zufällig – im Brauhaus gehört hatten. Wir aßen, während sie spielten und applaudierten, wie es sich für Musiker gehört, die auch die andere Seite kennen, ausgiebig nach jedem Lied. Die Musik, die darauf folgte, verstand es mit ihren weichen, rhythmischen Bässen jedoch besser, uns in Tanzlaune zu bringen und so entschieden wir uns ziemlich bald, nochmal einen Abstecher in die Stadt zu machen. Als wir am Wohnmobil vorbeiliefen, welches unmittelbar in der Straße zur Brauerei geparkt war, stand ein Polizist davor und sah aus, als würde er gerade ein Knöllchen schreiben. Bei näherem Hinsehen jedoch bemerkten wir, dass die Scheibe der Beifahrerseite eingeschlagen war – man hatte bei uns eingebrochen. Bereits während mit Hilfe unserer Dolmetscher die Personalien aufgenommen und der weitere Schriftkram erledigt wurde, überprüften wir, ob etwas im Wohnmobil fehlte. Außer dem grünen Versicherungsschein für das Auto, der in einer schwarzen Tasche gelagert war, deren Form an eine Laptoptasche erinnert, fehlte jedoch zunächst nichts. Alle Wertgegenstände und Bargeld lagerten sicher an anderen Orten. Selbst die Autopapiere hatte Fabian am Mann. Es stellte sich zwar später heraus, dass Lukas‘ (Technik) Laptop gestohlen wurde, der sich zu diesem Zeitpunkt im Wohnmobil befand, aber im Vergleich dazu, was sonst alles dort verstaut wird, war dies ein eher geringer Verlust. Jens fuhr nun gemeinsam mit einem Dolmetscher und den Busfahrern zur Polizei, um alles Weitere dort zu klären, wir liefen etwas bedrückt aber froh, dass die Busse auf einem bewachten Parkplatz stehen, in die Stadt und in eine schnuckelige kleine Bar namens „Golden Fish“. Sie war dekoriert wie ein Ramschladen und zwischen alten Telefonen, Handkameras, Brahms‘ gesamtem Orchesterwerk, zwischen Getränkekarten, die an einem Kabel von den Lampen hingen und einem Goldfisch, der in einem goldverzierten kleinen Glas schwamm, fanden wir inmitten von Flyern und Postern ein Plakat, das unser Konzert am kommenden Montag in Sarajevo bewarb – einfach unglaublich. Wir setzten uns, lauschten der Musik, die ausgefallener und abwechslungsreicher nicht hätte sein können, bewunderten die Toilette, die sogar über eine eigene funktionierende Dusche verfügte (das ist nur eines von tausenden Utensilien, die dort zu finden sind und die es unmöglich machen, weder alles aufzuzählen noch unter 10min für einen Toilettengang zu brauchen, weil man mindestens so lange darin steht und einfach nur staunt) und ließen den Abend gemütlich ausklingen. Für den nächsten Sarajevo-Besuch ein absoluter Geheimtip!

Samstag, 17. September 2011

Freitag 16.09.2011 – Essen, Essen, nichts als Essen

Man könnte fast meinen, dies sei keine Konzert- sondern eine Masttour. Wie eine Stopfgans klappen wir gefühlt alle drei Stunden den Kopf in den Nacken, halten den Mund offen und versuchen, alles zu schlucken, was da kommt. Man versucht redlich, uns mit landestypischen Gerichten zu beglücken und das Essen ist auch wirklich lecker. Es sind die Portionen, an denen wir scheitern! Viergängemenus, wohin wir auch kommen. Ein üppiger Salat aus Kraut, Gurken und Tomaten. Eine Suppe mit Baguette. Ein Teller mit allem vom Fleisch und allem von Beilage: Huhn, Rind, Schwein, Kartoffeln, Reis, manchmal Nudeln. Ein Törtchen zum Nachtisch. Wir müssten alle Konzertorte anlaufen, um annähernd verdauen zu können, was oben in uns hinein gelangt. Stattdessen fahren wir hin, fahren zu Ausflügen, fahren zum Essen. Wir fahren, essen, fahren, essen … im Zweistundentakt. Entscheiden müssen wir: Mehr laufen oder weniger essen! Oh, das Toilettenpapier geht aus. Ich kann nicht mehr, ich bin raus…






Mittwoch, 14.09.2011 - Donnerstag, 15.09.2011 – Feiern, Feiern, Feiern

Dass die STÜBAs gern feiern, weiß jeder, der sie schon kennengelernt hat. Ob es was zu feiern gibt oder nicht ist egal – es gibt immer was zu feiern. Deswegen ist der Titel eigentlich auch unvollständig und möglicherweise missverständlich. Er könnte fälschlicherweise suggerieren, dass nur an diesen beiden Abenden gefeiert wurde oder – um Gottes Willen –, dass generell nur am Abend gefeiert wird – eine Tageszeit, die bekanntlich immer zu schnell vorbei geht und deswegen stets künstlich in die Länge gezogen werden muss (aus Morgen mach Abend). Ich könnte die Datumsangabe ohne großes Nachdenken auf den Beginn der Tour legen und ihn, ohne zu wissen, was noch kommt, auf das Ende der Tour ausdehnen. STÜBAs feiern eigentlich immer, außer, wenn sie schlafen, aber selbst da bin ich mir nicht sicher. Sie feiern überall, ob im Bus, an der frischen Luft oder auf der Bühne, Hauptsache miteinander. Und so wechselten auch in den beiden Tagen in Mostar die Orte der Feiern regelmäßig.

Am Mittwoch wurde vor allem das Ufer der Neretva unterhalb der Stari most als Schauplatz des bunten Treibens auserkoren. Nachdem eine kleine Gruppe die Clubs der Stadt überprüft und einen für einzigartig aber mit schlechter Musik befunden hatte, traf sich ein Großteil der STÜBA zufällig oder bewusst – wer kann das schon sagen – an eben jenem besagten Ort. Es wurde lange getrunken, erzählt, gelacht und nach und nach lösten sich einzelne, kleinere Gruppen, um den Heimweg anzutreten. Wer die letzten Tage etwas aufmerksamer verfolgt hat, weiß, dass das noch nichts zu bedeuten hat und man erst in Sicherheit ist, wenn man im Bett liegt. So kam es dann auch, dass man sich in Stoßgruppen auf der Terrasse vor dem Studentenwohnheim wiedersah. Die Einen gingen ins Bett, die Anderen blieben noch ein wenig sitzen und wieder andere kamen gerade erst aus der Stadt. Unter ihnen eine Gruppe aus zwei Personen: Matze (Bass) und Albrecht (Violine). Albrecht stand gut im Stoff und war sichtlich gelöst. Auf die Frage, was los sei, erzählten beide die Geschichte von den verschollenen Fünf. Sie seien zu siebt aus der Stadt hochgelaufen (Katharina (Cello), Juliane (Violine), Robin (Schlagwerk), Arvid (Viola), Alex (Cello) und Matze mit Albrecht) und kurz hinter dem Stadion Richtung Studentenwohnheim um die Ecke gebogen. Als sich Matze, Albrecht und Alex nach der Kurve umdrehten, standen sie plötzlich zu dritt da. Auch Alex, der kurz um die Ecke bog, um nach dem Rest zu schauen, sei plötzlich weg gewesen, verschwunden. Als sie uns dies erzählten, machten wilde Gerüchte die Runde: Sie seien möglicherweise in ein Wurmloch unmittelbar hinter der Ecke gezogen wurden und lägen nun möglicherweise mithilfe des Wurmlochs bereits gewaschen und umgezogen im Bett. Nachdem einige andere vom Ufer wiederkehrten und behaupteten, die Vermissten gar noch unten gesehen zu haben, war plötzlich die Frage viel interessanter, ob man sich nicht vielleicht eingebildet habe, zu siebt gelaufen zu sein…nun gut, es war ja auch nur ein kurzer Gedanke, den man nicht unbedingt und in jedem Fall ausschließen muss. Albrecht drängte beharrlich auf eine Lösung: „Was machen wir denn jetzt? Das ist nicht gut! Das ist nicht gut!...“ Also schnappten wir uns Beppo, einen streunenden Hund, den eine der ersten Gruppen bereits aufgegabelt, getauft und mit hoch zur Herberge gebracht hatte und gingen mit Matze und Albrecht zu besagter Ecke. Dabei schien mir Albrechts Sorge nicht ganz so dringend, zumindest nicht so dringend, wie das Geschäft, dass er auf dem Weg nach unten im Busch noch zu verrichten hatte. Wie dem auch sei, wir kamen an die Ecke und das Tor vom Stadion stand auf. Beide versicherten, direkt vor dem Tor gestanden zu haben, sodass es unmöglich war, unbemerkt dort hinein zu gelangen. Nach einer Weile fand sich zumindest Alex wieder ein, der nach den vier Verschollenen zuerst geschaut hatte. Er war weder gewaschen noch umgezogen, was die Wurmlochtheorie gänzlich wiederlegte. Er hatte niemanden gefunden. Albrecht ging unterdessen noch immer der Frage nach, was wir jetzt machen und wiederholte weiter: „Das ist nicht gut!...“. Aber selbst das konnte mich nicht mehr vom Bett abhalten und wir gingen gemeinsam zurück zur Herberge. Es war ja schließlich mittlerweile schon halb vier. Ich ging hoch aufs Zimmer, während Beppo noch eine volle Windel aus einem auf der Terrasse geparkten Kinderwagen zog und sie genüsslich über die gesamte Terrasse verteilt in kleine Stücke riss. Am nächsten Morgen stellte sich heraus, dass die verschollenen Vier im Stadion waren und sich die Zeit mit Sprint- und Weitsprungübungen vertrieben hatten. ENDE