Herzlich Willkommen

Hallo zusammen,
hier ist er nun, der STÜBA-Blog. Wir nehmen euch mit auf unsere Reise.

Es wird für uns überwältigend intensiv. Musikalische Glanzleistungen wechseln sich mit spassig, emotional und packenden Momenten ab...
und nebenbei entsteht auch noch der Dokumentarfilm "TRI.sonanz" über die Menschen in Bosnien und unsere Tour.


Dienstag, 20. September 2011

Samstag, 17.09.2011 – Der Paukenschlag von Travnik

Travnik stand als erstes der drei Konzerte in und „um“ Sarajevo ganz im Zeichen der nun immer mehr aufkeimenden Krankheit. Zu den bereits am Donnerstagabend mit Beschwerden kämpfenden Henrike (Violine), David (Fagott) und Anton (Horn) stießen bis Samstag Micha (Posaune), Liesi (Flöte), Reza (Bass), Toni (Pauke) und Beate, die für die Kinderbetreuung vor allem während der Konzerte mitgekommen war. Nach der Ankunft, dem Mittagessen etwa zehn Gehminuten vom Veranstaltungsort entfernt und der Sitz- und Anspielprobe, die unmittelbar auf den Aufbau folgte, mussten sich daher einige von ihnen eine Auszeit auf der Wiese vor dem Centar za kulturu nehmen, breiteten ihre Decken oder Schlafsäcke aus und versuchten, mit einer kleinen Mütze Schlaf dem Körper etwas Kraft zu geben, um das abendliche Konzert zu überstehen. Und diese Kraft brauchten sie, denn Travnik kündigte sich gleich aus mehreren Gründen als ein Konzert an, das gut besucht werden könnte: Zum Einen kommen drei Bosnier des Orchesters aus Travnik, was bedeutet, dass allein durch Familie, Freunde und Mundpropaganda eine potenzierte Zahl an Leuten dieses Konzert bestimmt nicht verpassen wollte. Zum Anderen bestand schon lange vor der Konzertreise durch die Städtepartnerschaft Leipzig-Travnik ein guter Kontakt zu dieser Stadt und dem Leiter des Vereins vor Ort, Asem Ejubovic. Er stand schon im Vorfeld der Tour bei der Planung mit Rat und Tat zur Seite (dafür können wir ihm nicht genug danken), hat aber ferner natürlich vor allem in Travnik überaus wichtige und hilfreiche Kontakte, kennt die Menschen und weiß, wie er das Konzert in dieser kleinen Stadt am besten bewirbt. Er sagte immer: „Macht euch keine Sorgen um Travnik.“ Als letzte und nicht minder wichtige Tatsache kam hinzu, dass der Konzertsaal des Centar zu kulturu mit etwa 200 Plätzen wesentlich kleiner ausfiel als der in Mostar.

Sie (die Gebeutelten) lagen also da und erregten bei Bewohnern, die zufällig vorbeischlenderten, zunächst einmal Aufmerksamkeit. Wohlmöglich war es das erste Mal, dass hier scheinbar campiert und geschlafen wurde. Kurz vor dem Konzert folgte eine Welle von Armenkindern, die – von ihren Eltern geschickt – hierzulande bei großen Menschenansammlungen gern um Geld bitten. Bisher hatten wir in ähnlichen Situationen stets versucht, den Kindern mit kurzen aber deutlichen Gesten verständlich zu machen, dass wir kein Geld für sie haben. Doch hier kurz vor dem Konzert war es Zeit, eine andere Strategie zu fahren. Mit Asems Hilfe als Übersetzer boten wir einem kleinen, süßen und Mitleid erweckenden Mädchen von etwa sieben Jahren an, dass sie 5 KM (KM=Konvertible Mark, etwa 2,50€) erhalte, wenn sie sich im Gegenzug dafür das Konzert anhöre. Dieses war zwar sowieso kostenlos – wie übrigens alle Konzerte in Bosnien-Herzegowina –, doch war es die einmalige Chance, jemanden ins Konzert zu locken, der in seinem Leben vielleicht nie wieder mit klassischer Musik in Berührung kommen wird. Zudem hätten wir so zumindest eine kleine Gegenleistung für unsere Spende. In einer zweiten Bedingung sagten wir ihr, dass sie weitere 5KM bekäme, wenn sie bis zum Schluss bliebe (Um 22Uhr wäre das Mädchen wahrscheinlich auch unter normalen Umständen noch nicht im Bett.). Sie willigte ein und kurze Zeit später stand sie mit ihrer älteren Schwester und ihrem jüngeren Bruder freudestrahlend vor dem Konzerthaus. Das Konzert begann und sie saßen tatsächlich in der hinteren Reihe – aber nicht etwa aus Scheu vor dem Neuen, sondern weil es die letzte freien Plätze waren, die dieser Saal hergab. In den letzten Sekunden vor dem ersten Ton füllte sich die Stehreihe hinter den letzten Sitzen sogar noch so weit, dass wir während des gesamten Konzertes die Türen offen lassen mussten, um dem bis in die Tür stehenden Publikum nicht Sicht und Klang zu nehmen.

Das Konzert verlief gut, zumindest bis Toni (Pauke) in Takt 54 von Brahms‘ Tragischer Ouvertüre vom Stuhl aufsprang und sich – ab Takt 68 auch hörbar – über seine Pauken und den nebenstehenden Hocker übergab. Für viele im Orchester jenseits der Celli war dieser Moment nur am entsetzten Gesichtsausdruck des Dirigenten Martin Lentz ablesbar. Robin (Schlagwerk) reagierte sofort und versuchte, mit raschen Handbewegungen die Felle der Pauken zu reinigen – begleitet von Martins Gebärden und Gesten, der ihn – noch nicht bemerkend, dass die Pauken nicht spielbar waren – darum bat, für Toni einzuspringen. Von alledem bekamen die meisten Zuschauer wahrscheinlich gar nichts mit. Nach der Pause konnte Robin dann glücklicherweise übernehmen. Einen Tschaikowsky ohne Pauken wollte sich lieber keiner vorstellen. Der tosende Applaus am Ende des Konzertes fiel dann bereits in den letzten Schlussakkord hinein und verhallte erst, als durch Nikola aus den ersten Geigen die Zugabe angekündigt wurde. Geschafft…!

Der Abbau musste ziemlich schnell von Statten gehen. Schon bei der Ankunft in Travnik am Mittag schlichen zwielichtige Männer um die Busse herum, sobald diese auf dem Parkplatz zum Stehen kamen. Man musste höllisch aufpassen, dass sie über die offenen Türen nicht unbemerkt in die Busse gelangten, um sich an herumliegenden Sachen zu bereichern. Also leuchteten wir am Abend das Gelände weiträumig mit Baustrahlern aus, stellten Wachposten an die Eingänge und an jeden Bus und versuchten, die Sachen schnell und koordiniert in Bussen und Hängern zu verstauen. Da wir aus Mostar noch eingespielt waren und jeder wusste, was wohin muss, waren wir innerhalb einer halben Stunde nach Konzertende fertig zur Abfahrt. Im Bus wurden kurz vor Rückfahrt noch Desinfektionsmittel herumgereicht und wichtige Hygieneregeln aufgestellt, die dazu dienen sollten, die weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern. Dann ging es zurück Richtung „Heimat“.

PS: Die Armenkinder blieben bis zum Ende des zweiten Satzes von Bachs Doppelviolinkonzert, das jedes Konzert eröffnet. Der kleine Bruder war sichtlich müde und nicht mehr ruhig auf dem Stuhl zu halten. Es kann aber durchaus als Erfolg verbucht werden, dass sie überhaupt freiwillig so lange blieben.

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